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Warum Selbstlektorat?

Einen Roman überarbeiten – ein Aspekt des Romanschreibens, der so oft unterschätzt und vernachlässigt wird. Das sehe ich in meinem Beruf sehr häufig, wenn Rohfassungen auf meinem Schreibtisch landen und der Autor erwartet, neben ein paar Wortstreichungen und Synonymen würde ich als Lektor keinen größeren Beitrag leisten können.

 

Kommt dann das Inhaltslektorat zurück, ist der Schreck oft groß.

 

Wie – der Roman funktioniert nicht?

Wie – ganze Handlungsstränge müssen raus?

Wie – Charakterentwicklung?

 

Irgendwie hofft doch jeder Autor, dass der Lektor (und dementsprechend im Anschluss: der Leser) den Roman verschlingt und dann gesteht: Was für ein hervorragendes Buch. Hier habe ich eigentlich nichts zu bemängeln.

 

Die gute Nachricht ist: Das ist grundsätzlich möglich und kein Hexenwerk.

Die schlechte Nachricht: Aber es ist sehr unwahrscheinlich, wenn das Buch nicht richtig überarbeitet wird.

Die richtige Überarbeitung eines Romans kommt einem Selbstlektorat gleich. Wir alle kennen die Betriebsblindheit und wissen, dass ein fremdes Auge niemals durch eigene Expertise ersetzt werden kann. (Auch Lektoren können schlechte Bücher schreiben.)

Allerdings ist das keine Entschuldigung, hinter der wir uns verstecken sollten, um unseren Roman nicht selbst tiefgreifend zu überarbeiten.

 

Niemand wird dich bei der Veröffentlichung mit dem Herzblut unterstützen, das du für deine Geschichte aufbringst.

 

Was? Aber dafür zahle ich doch meinen Lektor?

 

Mja. Es ist nur so, dass auch der beste Lektor innerhalb von zwei Durchgängen nur beschränkte Möglichkeiten hat, wirklich auf alle Mängel einzugehen. Natürlich kannst du einen dritten oder vierten Durchgang buchen, aber das kostet. Und zwar richtig viel.

 

Oder aber du hast das Pech an einen schlechten Lektor zu geraten, der dir verspricht, dein Buch sei toll, und dessen Kommentare sich auf Stilfragen und punktuelle Problemchen beschränken, die das große Ganze deines Romans in keiner Weise verbessern können.

 

Die Situation ist völlig klar: Du selbst musst derjenige sein, der deinen Roman auf eine neue Ebene hebt. Und wie gesagt: Das ist kein Hexenwerk. Es gibt zahlreiche Tools und Hilfsmittel, die – Betriebsblindheit hin oder her – dir sehr genau zeigen, wie dein Roman aussehen muss, damit er funktioniert.

 

Wenn du mit einem solcherart selbstlektorierten Roman ins bezahlte Lektorat gehst, sparst du nicht nur Geld, sondern hast zudem die Möglichkeit, auf einer ganz anderen Ebene an deiner Geschichte zu arbeiten. Du bezahlst den Lektor nicht länger dafür, dass er Fehler ausmerzt, die du selbst hättest beseitigen können, sondern du zahlst für eine Arbeit, für die du tatsächlich eine fremde Expertenmeinung benötigst.

 

Schauen wir uns dafür einmal an, was eine Überarbeitung bzw. das Selbstlektorat nicht ist.

 

Überarbeitung bedeutet nicht, die Rohfassung durchzulesen und entweder direkt während des Lesens zu korrigieren oder mithilfe von Kommentaren die Korrektur auf später zu verschieben. Überarbeitung, die das Streichen von Sätzen oder das Ausbessern einzelner Wörter beinhaltet, ist der Bezeichnung kaum wert: Die Überarbeitung auf Stilebene ist der allerletzte Schritt, der letzte Schliff und nur ein Bruchteil der tatsächlichen Überarbeitung, die auf der Inhaltsebene stattfindet.

 

Was ist Überarbeitung also? Was macht das Selbstlektorat aus?

 

Das Selbstlektorat ist ein analytischer Vorgang, bei dem du deinen Roman Schritt für Schritt auf allen Ebenen kontrollierst und nachbesserst. Am Ende laufen diese Ebenen auf ein großes Ganzes zusammen, verzahnen sich gekonnt und überlassen nichts mehr dem Zufall.

Das Stichwort ist hier: Vom Großen ins Kleine, ohne das Große jedoch aus den Augen zu verlieren.

 

Was muss der Autor mitbringen, um das Selbstlektorat erfolgreich abzuschließen?

  • Geduld. Das Selbstlektorat ist ein langer Vorgang, oft länger als das Schreiben der Rohfassung. Gerade bei tiefgreifenden Problemen muss der Autor die Selbstdisziplin aufbringen, diese nicht einfach durchzuwinken, sondern anzugehen – stur und behäbig wie ein Bohrer.
  • Der Wille, an seiner Geschichte zu arbeiten. Ein Autor, der seine Geschichte im Grunde seines Herzens für perfekt hält und weder Lust noch Interesse hat, tatsächlich an ihr zu arbeiten (und nicht nur alles abzunicken, mag die Szene auch noch so passabel sein), wird am Selbstlektorat scheitern. Der Glaube daran, dass diese eine Geschichte in ihrer bestmöglichen Form erscheinen soll, muss stärker sein als die Müdigkeit, sich seit Monaten, vielleicht Jahren mit diesem Thema befasst zu haben.
  • Ehrlichkeit mit sich selbst. Der Autor darf sich nicht belügen und Aspekte beschönigen, während ihm seine Vernunft eigentlich zuflüstert, dass es Handlungsbedarf gibt.
  • Leidenschaft und Selbstbewusstsein. Der Weg des Selbstlektorats kann sehr unangenehm sein. Wenn du feststellst, dass manche Handlungsstränge nicht funktionieren, dass geliebte Figuren im Weg sind, dass irgendwie alles Mist ist – dann musst du an dich und deine Geschichte glauben. Mach dir bewusst, warum du diese Geschichte schreiben wolltest. Mach dir bewusst, warum diese Geschichte wichtig ist. Und wenn sie nicht funktioniert: Nicht aufgeben. Arbeite daran. Jede Geschichte kann gerettet werden.

Bist du bereit, deinen Roman selbst zu lektorieren?

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